Hallo Forengemeinde!
Mit großer Freude habe ich die Rückmeldungen auf meinen Beitrag in punkto Vollrestaurierung z. K. genommen. Nebeneffekt war, daß mich sehr viele private Nachrichten erreicht haben, die insbesondere das Thema Wertgutachten und Kosten der ganzen Veranstaltung zum Inhalt hatten. Obschon ich glaube, jedem Fragesteller vollumfänglich geantwortet zu haben, habe ich mich entschlossen, das Thema etwas "öffentlicher" zu gestalten - so daß auch andere Leser davon profitieren können:
Zäumen wir den Gaul von hinten auf:
Gutachten
Dem Grunde nach hält jeder seinen Wagen im aktuellen Zustand für mindestens gut und erhaltungswürdig. Das ist auch legitim und ich will das auch keinem nehmen. Jeder 124er (egal, welche Karosserievariante), der nicht in den "Export" geht oder verschrottet wird, ist erfreulich. Das ist meine persönliche Ansicht, zu der sich jeder seine Meinung bilden darf. Zweifelsohne hat sich der Bestand (gemessen an den produzierten Stückzahlen) mittlerweile schon stark dezimiert. Es kommt zwar selten vor, aber ab und an bin ich auf längeren Reisen mit dem Wagen unterwegs und ich habe es mir zum Spaß gemacht, auf der BAB zu zählen, wieviele 124er unterweges sind. Sehr oft kann ich die Zählung mit "Null" beenden. In der Stadt selbst schauts dann wieder etwas anders aus - da sieht man sie etwas öfter; beiweitem aber nicht so oft wie noch vor vier Jahren.
Die Erstellung eines Wertgutachtens mit Einstufung nach Classic-Data-Noten ist per se für den Bilderrahmen über dem Klo - und für die eigene Absicherung. Letzteres ist der entscheidende Punkt. Wer glaubt, daß er eine Mondeinstufung bekommt oder bei einem selbst annähernd perfekten Fahrzeug einen Wert kurz vor 20.000 Doppelmark (sieht man jetzt mal vom Sonderfall A 124 ab) attestiert bekommt - der irrt. Und zwar gründlich.
Ein sog. Wiederherstellungsgutachten ist zwar möglich, aber - ganz ehrlich - selbst für den perfekten 500 E (mit unmöglicher Vollausstattung) völlig sinnfrei. Da bewegen wir uns in Bereichen, die für einen 300 SL (Flügeltürer) interessant sind - oder einem 190 SL aus ähnlichem Baujahr. Zudem ist aus einem derartigen Wiederherstellungsgutachten keine Rechtspflicht abzuleiten.
Eine Begutachtung überhaupt ergibt nur nach Abschluß von Restaurierungsarbeiten oder - für den seltenen Fall - bei einem echten "Opa-Fund" an, der tatsächlich (!) rostfrei und frei von Remplern, Flecken, Lackschäden usw. ist. Interessant ist es auch, wenn jemand die Restaurierung oder diverese Arbeiten selbst durchgeführt hat - fachgerecht durchgeführt hat. Prestolith-Michelangelos sind nicht die Zielgruppe. Auch die, die ihren Wagen mehr oder minder von TÜV-Termin zu TÜV-Termin wuppen (und dennoch der Ansicht sind, daß es sich um den perfekten 124er handelt), würden hier nur Geld verbrennen.
Ein ordentlicher Gutachter (und nur solche sind für mich relevant) wird im Zweifelsfalle auch Teile abbauen, um zu schauen, was sich dahinter verbirgt - das ist keine windschiefe H-Kennzeichen-Untersuchung, bei der es auch enorme, regionale Unterschiede gibt. Was in gewissen Gegenden vermutlich nicht mal mehr den TÜV-Segen für die nächsten zwei Jahre bekäme, darf in bestimmten Stadt- und Landkreisen auf einmal mit H-Kennzeichen durch die Lande fahren.
Wer also die Sache komplett angeht - ob in Eigenleistung pur oder in teilweiser oder kompletter Fremdvergabe - sollte sich ein derartiges Gutachten durchaus erstellen lassen. Aber eben wahlweise für den Bilderrahmen über der Keramik oder eben für den Fall des Falles. Ich wünsche niemanden, bei einem (sehr gerne auch in Eigenleistung!) durchrestauriertem Fahrzeug sich selbst bei einem Bagatellschaden mit der unfallgegnerischen Versicherung auseinanderzusetzen. Ich selbst habe es verweigert, ohne Gutachten auch nur einen Meter selbst zu fahren - da ich mein "Glück" kenne.
Da bekanntermaßen "immer irgendwas" ist, gilt der Ratschlag, diese Gutachten (auch für die Versicherung) alle zwei Jahre erneut zu machen. Derweil wurde ja sicher wieder etwas getan oder es kamen - Überraschung, Überraschung! - neue, umfangreiche Instandsetzungsarbeiten.
Restaurierung
Immer ein relativer Wert. Wie auch schon weiter oben habe ich bewusst den Begriff der Restaurierung verwendet. Die Wagen sind mittlerweile durchaus in einem Alter, wo die Worte "zeitwertgerechte Instandhaltung", "Wartungsstau" usw. eine gewisse Rolle spielen.
Was ich gemacht habe, war eine Restaurierung - Rostbeseitigung ist ein definitiv zu profanes Wort (obschon es schlußendlich darauf hinausgelaufen ist).
Auch wenn es durchaus wünschenswert wäre, halte ich eine Stückelung der Arbeiten nur dann für sinnstiftend, wenn man selbst mit Möglichkeiten und Fähigkeiten ausgestattet ist, die Arbeiten wirklich selbst fachgerecht auszuführen. Das "drüberbraten" von Blechen ist nicht fachgerecht. Das rettet den nächsten TÜV; ohne Frage. Aber sobald (wenn man es nicht selbst in der Hand hat) das erste Mal gepfuscht wurde, ist die Versuchung groß, weiterzupfuschen. Sowas fällt auf - über kurz oder lang. Natürlich nicht jedem - aber die in diesen Kreisen nicht unbekannte Zeitschrift OldtimerPraxis hat Testkäufer, die ausziehen, um die Angaben in diversen Verkaufsanzeigen zu überprüfen. Zurecht wurden da schon reichlich Blender enttarnt; auf den ersten Blick pipifein - nach Einsatz eines simplen Magneten oder entsprechender Fachkenntnis wird aus dem Zustand zwei in der Anzeige gerne ein Zustand vier in der Realität.
Als Fahrer und Freunde des W 124 in all seinen Varianten stehen wir am Scheideweg. Die nächsten fünf Jahre werden mindestens 50 % der aktuell noch im Verkehr befindlichen Fahrzeuge entweder Deutschland oder die Welt verlassen. Noch (!) ist eine Totalrestaurierung nicht gewinnbringend - wobei man sich die ernsthafte Frage stellen muß, ob man Werterhalt für sich oder aus Gewinnsucht (Garagengold!) betreibt.
Meine Restaurierung war - nach Einstufung Classic Data - nicht rentabel. Das war allerdings auch nicht das Ziel. Denn schlußendlich wurden die Arbeiten für mich durchgeführt und nicht für einen Käufer oder mein Bankkonto. Das der Wagen ohnehin nie zum Verkauf stehen wird, ist hierbei ein entscheidender Punkt. Arbeiten á la Ungarn oder ähnliches versprechen einem gewinnorientierten Besitzer eventuell Erfolge - noch. Den Großteil hier schätze ich allerdings so ein, daß es hier eben nicht um Gewinnsucht oder Gier geht.
Diesen Weg, den der 124 geht, ist der exakt gleiche Weg, den auch der 123 oder 114/115 (besser bekannt als "Strich-8") gegangen ist. Quasi über Nacht sind die Grotten fast verschwunden - und es werden Preise aufgerufen, die einen aus den Pantinen heben.
Es gibt also zwei Möglichkeiten: Dem Mythos 124 frönen - solange es noch welche gibt und sie der Reihe nach abwohnen oder endverbrauchen und sich nach deren Ende am 210er ff. orientieren - oder eben die Sache ernst nehmen. Das heißt aber auch, sehr viel Geld (Fremdarbeiten) oder sehr viel Zeit (Eigenleistung) zu akzepiteren. Justament jetzt (vulgo in den nächsten fünf Jahren) trennt sich die Spreu vom Weizen.
Ich fand die Antwort auf meinen Beitrag sehr ehrlich, in dem beschrieben wurde, daß er (der Autor) jetzt am Scheideweg steht und sich entschlossen hat, den Weg nicht zu gehen. Die Gründe lasse ich dahingestellt - aber das war/ist die Entscheidung (die ehrlich und respektabel ist!) einen weiteren, mittelguten 124er über die Klinge springen zu lassen. Real werden diese Entscheidung noch viele treffen (oder ihnen wird die Entscheidung durch den TÜV abgenommen).
Fazit:
Gutachten sind keine Preisgarantien, weder als Käufer noch als Verkäufer. Sie dienen ausschließlich der Absicherung!
Restaurierungen lohnen noch nicht - es sei denn, man macht es für sich selbst und nicht aus Gewinnsucht.
Was heute über den Teich geht, ist morgen nicht mehr da.